Amtsgericht Prüm, Beschluss vom 14.08.2017, 6 C 180/17; Landgericht Trier, Beschluss vom 15.09.2017, 5 O 222/17; Oberlandesgericht Koblenz, Beschluss vom 16.05.2018, 4 W 227/18; Amtsgericht Prüm, Urteil vom 19.09.2018, 6 C 278/18 und Landgericht Trier, Urteil vom 18.10.2019, 1 S 199/18
Schadensersatz aus Verkehrsunfall (Nutzungsausfall), Frage nach der Passivlegitimation eines privaten Straßenbauunternehmens und damit die Frage nach der sachlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts oder (bei Amtshaftung) des Landgerichts
Am Ende des Verfahrens hatten sich insgesamt 4 Spruchkörper mit dem Fall zu befassen, nämlich das Amtsgericht, die Zivilkammer am Landgericht, der Zivilsenat am Oberlandesgericht und schließlich die Berufungskammer des Landgerichts.
Dabei war der Sachverhalt weitgehend unstreitig:
Das beklagte Betonbauunternehmen verdichtete im Rahmen der Sanierung einer Bundesstraße deren seitliche Begrenzung. Hierbei war ein Schlauch geplatzt und infolgedessen Beton ausgelaufen, der sich auf der Straße verteilt hatte. Als der Kläger mit seinem Pkw den Baustellenbereich befuhr, wurde der Beton von einem vorausfahrenden Fahrzeug aufgewirbelt und geriet gegen das klägerische Fahrzeug. Der Beton musste in einer Fachwerkstatt aufwendig entfernt werden. Ein hinter der Beklagten stehender Versicherer zahlte die Aufwendungen für die Entfernung der Betonspritzer sowie eine Nutzungsausfallentschädigung für 2 Tage.
Mit der Klage machte der Kläger weiteren Nutzungsausfall geltend. Hierzu trug der Kläger vor, dass der Versicherer der Beklagten ihn bzw. die Reparaturwerkstatt angewiesen habe, das Fahrzeug nicht mehr zu bewegen, bis es begutachtet worden sei.
Der Kläger reichte die Klage beim Amtsgericht Prüm ein. In dessen Bezirk hatte sich der Unfall ereignet.
Durch Beschluss vom 14.08.2017 erklärte sich das Amtsgericht für sachlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht Trier. Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, mit der Klage würden Ansprüche aus Amtshaftung geltend gemacht. Verdichtungsarbeiten an seitlicher Begrenzung einer Bundesstraße stellten Ausgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge und damit hoheitliche Aufgaben dar. Zuständig sei daher das Landgericht.
Durch Beschluss des Landgerichts Trier vom 15.09.2017 wurde die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt und der Rechtsstreit an das Amtsgericht zurückverwiesen. Hierzu führte das Landgericht in seinen Gründen aus:
Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts entfalte keine Bindungswirkung, da er als willkürlich zu betrachten sei. Willkür liege vor, wenn dem Verweisungsbeschluss jede rechtliche Grundlage fehle und er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheine und offensichtlich unhaltbar sei. So liege der Fall hier.
Etwaige Amtshaftungsansprüche gegen den Träger der Straßenbaulast würden Ansprüche gegen das beklagte Bauunternehmen lediglich ausschließen, nicht aber eine Spezial-Zuständigkeit des Landgerichts begründen können. Ob das beklagte Bauunternehmen hier gleichsam als "Werkzeug" eines Hoheitsträgers handele und sich dieser deshalb die Tätigkeit des Privaten wie eine eigene zurechnen lassen müsste, habe das Amtsgericht nicht aufgeklärt.
So ging der Fall zurück zum Amtsgericht. Mit Verfügung vom 02.05.2018 legte das Amtsgericht die Sachakte dem Senat am Oberlandesgericht Koblenz zur Entscheidung über die Zuständigkeit vor.
Durch Beschluss vom 16.05.2018 entschied das Oberlandesgericht, dass zuständig sei das Amtsgericht.
Auch das Oberlandesgericht sah den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts vom 14.08.2017 als nicht bindend für das Landgericht an. Nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO sei zwar der Verweisungsbeschluss für das Gericht, an welches der Rechtsstreit verwiesen werde, grundsätzlich bindend. Dies gelte aber nicht, wenn der Verweisungsbeschluss (objektiv) willkürlich sei, also schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen sei, weil er jeder gesetzlichen Grundlage entbehre.
Der Fall gelangte so abermals an das Amtsgericht, welches nach mündlicher Verhandlung am 19.09.2018 das Urteil verkündete. Das Amtsgericht wies die Klage ab. Das Amtsgericht blieb bei seiner bereits im Verweisungsbeschluss vom 14.08.2017 geäußerten Auffassung, der vom Kläger unterbreitete Lebenssachverhalt stelle einen Fall der Amtshaftung dar. Deshalb sei das beklagte (private) Bauunternehmen nicht passivlegitimiert. Grundsätzlich hafte nach Artikel 34 Satz 1 GG der Staat anstelle des Beamten, dessen persönliche Haftung ausgeschlossen sei. Ziehe der Hoheitsträger zur Erfüllung seiner Aufgaben mit privatrechtlichem Vertrag einen selbstständigen privaten Unternehmer heran, so hafte er für diesen nach § 839 BGB, wenn der hoheitliche Charakter der Aufgabe im Vordergrund stehe, die Verbindung zwischen der übertragenen Tätigkeit und der von der Behörde zu erfüllenden Aufgabe eng und der Entscheidungsspielraum des Unternehmers begrenzt sei. Eine Inanspruchnahme der von der öffentlichen Hand beauftragten Bauunternehmung komme grundsätzlich nicht in Betracht. Denn das Verweisungsprivileg nach § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB entfalle in von der Rechtsprechung zunehmend ausgedehnten Fällen. Wäre es anders, könne sich der öffentlich-rechtliche Träger der Straßenbaulast durch Beauftragung privater Unternehmen der Inanspruchnahme als Hoheitsträger entziehen.
Deshalb komme es auch nicht darauf an, dass die Auftraggeber des beklagten Bauunternehmens die Verkehrssicherungspflicht auf das beklagte Bauunternehmen übertragen und ihm insoweit sogar weitgehenden Entscheidungsspielraum eingeräumt hätten. Eine derartige Übertragung von Pflichten im Innenverhältnis verschaffe dem Bürger keine Möglichkeit, statt des Hoheitsträgers das in dessen Auftrag tätige private Unternehmen unmittelbar auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen.
Gegen das Urteil des Amtsgerichts legte der Kläger Berufung ein. Die Berufungskammer am Landgericht gab bereits mit der Terminsverfügung den Hinweis nach § 139 ZPO. Es handele sich nicht um eine Amtshaftungssache. Bei Baumaßnahmen im öffentlichen Straßenbereich sei davon auszugehen, dass die Verkehrssicherungspflicht auf die Baufirma übertragen wurde, sodass beim Staat lediglich Auswahl-, Organisations-, Instruktions- und Überwachungspflichten verblieben. Das beklagte Bauunternehmen dürfte daher passivlegitimiert sein.
Nach weiterem Schriftwechsel fand die mündliche Verhandlung am 27.09.2019 statt, in der die Berufungskammer Beweis erhob durch Vernehmung des Werkstattbesitzers als Zeugen, in dessen Werkstatt sich das Fahrzeug des Klägers nach dem Unfall befunden hatte und wo die Unfallschäden beseitigt worden waren.
Durch Urteil der Berufungskammer des Landgerichts wurde das Urteil des Amtsgerichts abgeändert. Dabei stellte die Berufungskammer zunächst fest, dass vorliegend kein Fall der Amtshaftung vorliege, sodass das beklagte Bauunternehmen passivlegitimiert sei. Ob sich das Handeln einer Person als Ausübung eines ihr anvertrauten öffentlichen Amtes darstelle, bestimme sich danach, ob die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinn der Betreffende tätig werde, hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen sei und ob zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang bestehe, dass die Handlung ebenfalls als noch dem Bereich hoheitlicher Betätigung angehörend angesehen werden müsse. Dabei sei nicht auf die Person des Handelnden, sondern auf seine Funktion, also auf die Aufgabe, deren Wahrnehmung die im konkreten Fall ausgeübte Tätigkeit diene, abzustellen. Hiernach könnten auch Mitarbeiter eines privaten Unternehmens Amtsträger im haftungsrechtlichen Sinne sein. Dies komme neben den Fällen der Beleihung eines Privatunternehmens mit hoheitlichen Aufgaben auch dann in Betracht, wenn ein Privater als Verwaltungshelfer bei der Erledigung hoheitlicher Aufgaben tätig werde.
Dafür sei erforderlich, dass ein innerer Zusammenhang und eine innere Beziehung zwischen der Betätigung des Privaten und der hoheitlichen Aufgabe bestehe, wobei die öffentliche Hand in so weitgehendem Maße auf die Durchführung der Arbeiten Einfluss nehme, dass der Private gleichsam als bloßes "Werkzeug" oder "Erfüllungsgehilfe" des Hoheitsträgers handele und dieser die Tätigkeit des Privaten deshalb wie eine eigene gegen sich gelten lassen müsse. Je stärker der hoheitliche Charakter der Aufgabe in den Vordergrund trete, je enger die Verbindung zwischen der übertragenen Tätigkeit und der von der öffentlichen Hand zu erfüllenden hoheitlichen Aufgabe und je begrenzter der Entscheidungsspielraum des Privaten sei, desto näher liege es, ihn als Beamten im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen. Jedenfalls im Bereich der Eingriffsverwaltung könne sich die öffentliche Hand der Amtshaftung für fehlerhaftes Verhalten ihrer Bediensteten grundsätzlich nicht dadurch entziehen, dass sie die Durchführung einer Maßnahme durch privatrechtlichen Vertrag auf einen privaten Unternehmer übertrage (unter Hinweis auf BGH, NJW 2014, 3580).
Nach diesen Grundsätzen sei das beklagte Bauunternehmen nicht als Werkzeug des Straßenbaulastträgers anzusehen. Dass hier die öffentliche Hand in einem derart weitgehenden Maße Einfluss auf die Durchführung der Arbeiten genommen habe, so dass dem beklagten Bauunternehmen nur noch ein begrenzter Entscheidungsspielraum zugestanden habe, sei angesichts der Feststellung des Amtsgerichts, dass dem beklagten Bauunternehmen die Verkehrssicherungspflicht übertragen und von Seiten des Straßenbaulastträgers ein weitgehender Entscheidungsspielraum eingeräumt worden sei, in keiner Weise ersichtlich (unter Hinweis auf Stein/Itzel/Schwall, Praxishandbuch des Amts- und Staatshaftungsrechts, 2. Aufl., Rn. 526).
Nach alledem sei das beklagte Bauunternehmen passivlegitimiert.
Es folgen dann weitere Ausführungen zu den Voraussetzungen für die erfolgreiche Geltendmachung eines Nutzungsausfallschadens, wobei sich die Berufungskammer dabei auf die Aussage des von ihr vernommenen Werkstattbesitzers stützt.
Während die hinter dem beklagten Bauunternehmen stehende Haftpflichtversicherung lediglich bereit war, dem Kläger für 2 Tage Nutzungsentschädigung zu zahlen, sprach die Berufungskammer dem Kläger Nutzungsentschädigung für insgesamt 14 Tage zu.
