Grund- und Teilurteil des Landgerichts Trier vom 17.05.2004, Az. 4 O 25/03:
Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch den Betreiber eines Supermarktes,
Organisationsverschulden - §§ 823 Abs. 1, 847 a.F. BGB
Die Klägerin nahm den Beklagten, der einen Supermarkt betreibt, auf Ersatz der durch einen Unfall entstandenen Schäden unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Anspruch. Die Klägerin war im Kassenbereich des Supermarktes gestürzt und hatte sich schwere Verletzungen zugezogen, unter anderem einen Bruch der rechten Schulter. An der Unfallstelle war das Geschäftsgebäude des Beklagten durch einen Anbau erweitert worden. Dabei war ein Höhenunterschied daurch ausgeglichen worden, dass eine oder mehrere Reihen Fliesen schräg verlegt wurden. Etwa 6 Wochen nach dem Unfall wurde die Unebenheit im Fliesenbelag beseitigt.
Die Klägerin macht geltend, an der Unfallstelle habe sich eine Kante von mindestens 10 mm Höhe gebildet. Sie sei mit der Fußspitze an dieser Stolperkante hängen geblieben und der Länge nach hingeschlagen.
Die Klägerin war mit dem Rettungswagen in das Krankenhaus verbracht worden. Nach mehr als 7 Monaten war die ärztliche Behandlung der Klägerin abgeschlossen.
Die Klägerin verlangt von dem Betreiber des Supermarktes Schmerzensgeld sowie Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall zu ersetzen.
Der Betreiber des Supermarktes war der Auffassung, die Fliesen hätten zwar eine leichte Schräge aufgewiesen, die jedoch nicht mehr als 3 mm betragen habe. Er habe keine Verkehrssicherungspflicht verletzt, da keine Aufkantung von mehr als 4 mm vorgelegen habe. Im übrigen treffe die Klägerin ein Mitverschulden. Sie habe sich an ihrem Einkaufswagen festhalten können.
Nach Vernehmung von Zeugen entschied das Landgericht durch Grund- und Teilurteil, dass die Klage dem Grunde nach gerechtfertigt sei.
Das Landgericht stellt gleichzeitig fest, dass der Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin allen materiellen und immateriellen Schaden aus dem Unfallgeschehen zu ersetzen.
Nach der Beweisaufnahme stand zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte seine Verkehrssicherungspflichten als Betreiber des Supermarktes verletzt habe. Grundsätzlich habe, so das Gericht weiter, jeder für seine eigene Sicherheit selbst zu sorgen. Wer aber im Rechtssinn einen Verkehr eröffne (in diesem Fall mit einem Ladengeschäft Kunden anziehe) und dabei Gefahrenquellen schaffe, der müsse die ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die Teilnehmer an diesem Verkehr (hier also seine Kunden) zu schützen. Diese Pflicht bestehe um so stärker, je weiniger die Kunden von sich aus mit einer derartigen Gefahrenquelle an einem solchen Ort rechnen würden, und je schwerer die von dieser Gefahrenquelle drohende Rechtsgutsverletzung wiege.
Der Streit der Parteien habe sich im Anschluss an die Unfallverhütungsvorschriften besonders auf die Frage konzentriert, ob die Aufkantung, über die die Klägerin gestolpert ist, weniger als 4 mm oder mindestens 10 mm hoch war. Dies sei, so das Landgericht, jedoch nur einer von mehreren Gesichtspunkten. Die Unfallverhütungsvorschriften, die - unstreitig - Aufkantungen ohne Anschrägung von mehr als 4 mm als gefährliche Stolperstellen verbieten, seien zwar zur Bestimmung der einzuhaltenden Verkehrssicherungspflichten von hervorragender Bedeutung. Sie könnten aber nicht alleine diese Pflichten konkretisieren.
Das Gericht legt hier besonders Gewicht darauf, wie der Beklagte seinen Kassenbereich gestaltet habe. Maßgeblich sei der Umstand, dass diese Schräge, wie immer sie auch im einzelnen beschaffen war, genau zwischen zwei Kassen verlief. Wer als Kunde sich also entschlossen habe, an der betreffenden Kasse zu zahlen, habe keine Möglichkeit, dieser Schräge auszuweichen. Er müsse seinen mehr oder weniger voll beladenen Einkaufswagen über diese Fläche schieben. Die ohnenhin nicht einfachen Manöver mit einem solchen Einkaufswagen würden zusätzlich erschwert. Es sei dem Kunden gar nicht möglich, in dieser Situation auf die Bodenunebenheit ständig zu achten, weil seine Sicht durch den beladenen Einkaufswagen behindert sei.
Dass diese Unebenheit nicht völlig unbedeutend gewesen sei, folge aus den Aussagen der Zeugen (wird vom Gericht weiter ausgeführt).
Stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass es eine Bodenunebenheit ausgangs des Kassenbereichs gegeben habe wie von den Zeugen bekundet, so streite zugunsten der Klägerin der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass sie über diese Stolperstelle gestolpert sei. Eine andere Ursache sei schwer vorstellbar.
Die Klägerin müsse sich kein Mitverschulden gemäß § 254 BGB anrechnen lassen. Der Klägerin könne nicht der Vorwurf gemacht werden, sie habe zu wenig auf den Boden geachtet, denn mit einer Stolperkante in dem Kassenbereich brauche kein Kunde zu rechnen. Er dürfe vielmehr darauf vertrauen, dass der Geschäftsinhaber derartige Gefahrenquellen in den von den Kunden am meisten beanspruchten Teilen des Geschäfts beseitigen werde.
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